Kulinarischer Humor

Tipps für Strategen am kalten Büffet

Wie schafft man es garantiert , sich als erster die Filetspitzen auf den Teller zu häufen

Zu den Foltern der modernen Gesellschaft gehört das Büffet. Erfunden wurde es einst in der löblichen Absicht, auf möglichst praktische und elegante Weise möglichst viele Menschen auf einmal abzufüttern. Es ist nun einmal schwierig, 300 bis 400 Personen am Tisch zu bedienen, wenn nicht genau so viele Kellner wie Gäste da sind. Kann man das Essen also nicht zu den Leuten bringen, dann bringt man eben die Leute zum Essen.

Zudem bietet das Büffet den Vorteil, dass alle Speisen sich auf einen einzigen, prächtig dekorierten Tisch konzentrieren, was den Eindruck der Überfülle erweckt: Kaskaden von Silberlachs, Türme von Honigmelonen, Butter–Pyramiden, Kontinente von Salaten, sowie ausgedehnte Käselandschaften und Bratenhügel. Vor einem Büfett ist man hin und hergerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen: dem Drang, von allem zu essen, und der Hemmung, das Kunstwerk zu zerstören.

Das Büffet ist der wahr gewordene Traum des Nassauers. Maßvollere Kritiker vergleichen es mit dem Fließband, aber das geht zu weit, sind doch Fließbänder viel besser durchorganisiert. In Büffetnähe findet der Mensch zurück zu seinem urzeitlichen Vorbild: dem Wilden an der Nahrungsquelle. Da wird die Patina der Zivilisation so rissig wie die Caramelglasur auf dem Schinken, und jeder ist nur noch für sich und seinen Magen da.

Wir haben schon alte Freunde im Duell um ein Stück Roastbeef erlebt und Eheleute handgreiflich um das Vorrecht wetteifern
sehen, sich zuerst über die Poulardenbrüstchen herzumachen. Im Grunde setzt das Büfett eine innere Unabhängigkeit von der Nahrungsaufnahme voraus, die niemand empfindet.

„Ich warte, bis die Wilden sich ihren Teil geholt haben, dann werde ich mich bedienen“, sagt der eine mit einem verächtlichen Lächeln für die um den Tisch versammelte Horde.

„Das täte ich nicht, wenn ich Sie wäre“, erwidert ein anderer. „Die halbe Wildpastete schon weg.“
„Haltet ein!“ ruft ein dritter und stürzt sich unter Einsatz seiner Ellbogen ins Gewühl.

Da sich das Büffet nun aber nicht mehr wegdenken läßt, müssen wir eben lernen, mit ihm zu leben. Mögen einige der folgenden Regeln Ihnen helfen, auch der größten Hektik am Büffet noch einigermaßen wohlgesättigt und, von ein paar Rissen in der Kleidung abgesehen, unversehrt zu entkommen.

Die Erfahrung ist der Lehrmeister. die Male der Gabelstiche an den Händen beweisen es.

Lassen  Sie  sich  keine  Vorschriften  machen: Es ist durchaus normal, daß der Gastgeber mit einem Scherzwort eine Art Hierarchie für den Gang zum Büffet bestimmen will: zuerst die Gäste an den Tischen auf der einen oder auf der anderen Seite, zuerst die Älteren, zuerst die Ehrengäste, die Kriegsveteranen oder wer auch immer. Überhören Sie das. Sie müssen als erster vom Tisch aufspringen. Schlimmstenfalls ernten Sie ein paar vorwurfsvolle Blicke. Aber was
ist das schon gegen die Aussicht, die schönsten Aal–Schiffchen zu ergattern?

Verschaffen  Sie  sich  einen  Überblick: Planung ist alles.

Nehmen Sie, sowie Sie auf der Party eingetroffen sind, das Büffet genau in Augenschein. Merken Sie sich die wichtigsten
Gerichte. Meist gibt es 17 verschiedene Salate. Konzentrieren Sie sich auf einen, damit Sie später keine Zeit verlieren.

Prägen Sie sich den schnellsten Weg zum Hummer ein. Denken Sie daran, daß zwei, drei Stückchen Hummer an jeder Börse der Welt für eine ganze Portion Entenbrust  gehandelt werden. Entscheiden Sie sich für eine Angriffsstrategie.

Notfalls empfehlen sich auch Ablenkungsmanöver: Wenn die Zeit zum Essen kommt, gehen Sie entschlossen auf den kalten Braten zu und stoßen erst im letzten Moment auf den Hummer herab, wodurch Sie den Gegner verwirren.

Seien  Sie  trickreich:
Mit der Zeit werden Sie gewiß Ihren eigenen Stil entwickeln: dennoch können ein paar Tipps nicht schaden. Nehmen Sie nach Möglichkeit immer zwei Teller, und tun Sie so, als sei der andere für die liebe Gemahlin oder den Herrn Gemahl. Sind Sie wirklich in ehelicher Begleitung, um so besser. Er oder sie kann dann dasselbe tun und vorgeben, es sei für Sie. Teamwork ist wichtig – sofern vorweg geregelt ist, wer die Großgarnelen nimmt. Und wohlgemerkt, für den Kaviar nimmt man nie den kleinen Löffel, solange eine Suppenkelle greifbar ist.

Vergessen  Sie  alle  Skrupel !
Gewiß, man mag nicht unmoralisch sein, aber schließlich reden wir vom Essen! Falls die vor Ihnen stehende Person Ihnen den Zugang zum zusehends schrumpfenden Tatarberg versperrt, stoßen Sie ihm oder ihr diskret den Gabelstiel zwischen die Rippen. Nützt das nichts, dann versuchen Sie es mit den Zinken. Verbreiten Sie das Gerücht, der Spießbraten sei nur Zierat aus Plastik.

Drohen  Sie :
Meist bedient beim warmen Gericht – höchstwahrscheinlich Rinderfilet „Wellington“ – ein Koch. Normalerweise ist er großzügig mit dem feinen Gemüse, damit er am Fleisch sparen kann. Dann nehmen Sie den Teller in die Hand, bauen sich vor ihm auf und lassen Ihren Blick sagen: „Ich kenne deinesgleichen, du Gauner. Wenn du mir nicht genug Fleisch gibst, ersäufe ich dich in deiner Salattunke !

„Na bitte, Sie haben es geschafft und genießen bereits den ersten Gang, während andere weniger Umsichtige die Tomatenrosen erst von weitem sehen. Aber ausruhen dürfen Sie sich noch lange nicht! Bedenken Sie, daß der Kampf um Tiramisu, Petits Fours oder Sahne–Torten erst noch bevorsteht……